Beschluss der SPD Chemnitz
Am 24. November beriet der Unterbezirksvorstand der SPD Chemnitz über jene Anträge, die auf der Unterbezirksvollversammlung aus Zeitgründen nicht mehr diskutiert und beschlossen werden konnten. Folgender Antrag, eingereicht von der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen, wurde einstimmig angenommen und wird nun an den Landes- und Bundesvorstand weitergeleitet:
Die SPD war immer eine Partei der Grund- und Menschenrechte. Der Unterbezirk Chemnitz stellt jedoch mit Sorge fest, dass das rechtsstaatliche Profil der SPD in letzter Zeit Schaden genommen hat. Er appelliert an alle Funktions- und Mandatsträger, sich einem weiteren Abbau von Grund- und Menschenrechten zu widersetzen. Maßnahmen, wie die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung oder das Asylpaket II, gefährden die politische Identität der Partei. Sie lassen sich auch nicht unter Verweis auf Koalitionszwänge o. Ä. rechtfertigen.
Begründung
Zur politischen Identität der SPD gehört das aktive Eintreten für die individuellen Grund- und Menschenrechte. Die Grundwerte der Partei Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität lassen sich nur in einem rechtsstaatlich verfassten Gemeinwesen verwirklichen, das die individuellen Rechte jedes Einzelnen auch dann uneingeschränkt schützt, wenn dies wenig populär erscheint oder Koalitionszwänge geltend gemacht werden. In letzter Zeit hat die SPD mehrfach Anlass zu Zweifeln gegeben, ob sie noch ohne Wenn und Aber auf der Seite der Grund- und Menschenrechte steht.
Die zwei markantesten Beispiele:
- Ohne rational erkennbare Notwendigkeit prügelte die SPD Führung die Partei in das im Schweinsgalopp verabschiedete „Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten“ hinein. Aus der vormaligen verfassungswidrigen Vorratsdatenspeicherung wurde eine verfassungs- und europarechtlich erneut höchst zweifelhafte Vorratsdatenspeicherung. Die Fristen wurden ein wenig verkürzt und E-Mail-Adressen ausgenommen, dafür werden nun auch Standortdaten erfasst. Damit können jetzt wieder völlig verdachtsunabhängig, quasi lückenlose Profile von Menschen gezeichnet werden. Es handelt sich um einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff, der die Aufklärungsquoten auch nach Zahlen des BKA allenfalls minimalst verbessert. Es ist sehr schmerzlich zu erkennen, dass die SPD in der Regierung daran mitwirkt, die Freiheit zugunsten vermeintlicher Sicherheit immer weiter zurückzudrängen.
- Das vor drei Monaten verabschiedete Asylpaket II greift die Substanz des individuellen Asylrechts an. Für alle Flüchtlinge aus sogenannten „sicheren Herkunftsländern“, für alle, die einen Folgeantrag gestellt haben, weil sich ihre Situation grundlegend verändert hat, sowie für Menschen, denen vorgeworfen wird, sie hätten ihre Papiere vernichtet, gelten beschleunigte Verfahren: Das Asylverfahren muss in nur einer Woche über die Bühne gebracht werden. Viele Flüchtlinge fliehen jedoch ohne Papiere nach Europa – oder aber Dokumente gehen auf der Flucht verloren. Das stellt die Grundlage dafür dar, solche Schnellverfahren potentiell auf alle Asylsuchenden anzuwenden. Im Asylverfahren, soll es einen Sinn haben, müssen Fluchtgründe aber geordnet und schlüssig vorgetragen und traumatische Erfahrungen ggf. mit detaillierten ärztlichen Gutachten belegt werden können. Das gilt gerade für die (möglicherweise sehr wenigen) Ausnahmefälle bei den aus „sicheren Herkunftsstaaten“ geflohenen Menschen. Dafür braucht es aber Zeit und eine geschützte Atmosphäre, in der die Menschen sich sortieren und sich Unterstützung und Beratung suchen können. Das alles ist für einen großen Teil der Flüchtlinge nun faktisch nicht mehr möglich. Das Asylpaket II schließt außerdem Menschen mit subsidiärem Schutz, also etwa diejenigen, in deren Herkunftsland „nur“ Krieg herrscht, vom Familiennachzug aus. Das Grundrecht auf die Einheit der Familie wird für diese Personengruppe ausgesetzt und viele Familienangehörige, insbesondere Kinder und Frauen, werden dazu veranlasst, auf lebensgefährliche Fluchtrouten zurückzugreifen. Zudem wird die Residenzpflicht für alle Asylsuchenden in den Schnellverfahren verschärft. Ein Besuch bei FreundInnen oder Familienangehörigen in einer anderen Stadt kann so zur Ablehnung des Asylantrags ohne weitere inhaltliche Prüfung führen. All dies verletzt elementare Rechte der Betroffenen und beschädigt den Kern der humanitären Werte unseres Asylrechts.
Weiteres ist zu nennen:
Die SPD hat kein Problem damit, Gewerkschaften die Tariffähigkeit zu entziehen und damit faktisch bedeutungslos zu machen: Beim jüngst in Kraft getretenen „Tarifeinheitsgesetz“ geht es im Kern um die Frage, wie damit umzugehen ist, wenn Beschäftigte innerhalb eines Unternehmens von verschiedenen Gewerkschaften vertreten werden. Jetzt kann letztlich nur noch die mitgliederstärkste Gewerkschaft wirksame Tarifverträge abschließen. Das Bundesarbeitsgericht hat jedoch 2010 festgestellt, dass „die Verdrängung eines Tarifvertrags mit dem Grundrecht der Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG nicht zu vereinbaren“ ist. Ausgerechnet die SPD bekümmert das nicht.
Oder: Der Vorsitzende der SPD fragt: „Warum sollen deutsche Steuerzahler ausländischen Kriminellen die Haftzeit bezahlen?“ Nach Auffassung von Sigmar Gabriel schreckt die Androhung, in der Heimat hinter Gitter zu kommen, Täter weit mehr ab als eine Haftzeit im deutschen Gefängnis. Damit droht der SPD Vorsitzende den Boden der eben auch für Straftäter geltenden Grund- und Menschenrechte zu verlassen. Populismus geht vor rechtsstaatliche Rationalität.
Wenn die SPD diesen Weg des Abbaus von Grund- und Menschenrechten weitergeht, wird sie ihre Identität verlieren. Die Abkehr von dieser abschüssigen Bahn ist dringend geboten.
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