Vorwärts in die Vergangenheit?

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SPD Chemnitz lehnt Kürzungen im Kinder-, Jugend- und Kulturbereich ab und nimmt Verwaltung in die Pflicht (aktualisiert am 02.12.2022)

Angesichts der geplanten Kürzungen äußern sich die Vorsitzenden der SPD Chemnitz mit der nachfolgenden Presseerklärung und die Vorsitzende der Stadtratsfraktion mit der unten stehenden Fraktionserklärung in der Stadtratssitzung am 23.11.

Einen auf Verbindlichkeit drängenden Antrag an den Jugendhilfeausschuss wurde am 02.12. eingereicht (LINK zur PM)

Pressemitteilung der SPD Chemnitz:

Ralph Burghart, Kämmerer der Stadt Chemnitz, und Dagmar Ruscheinsky, Bürgermeisterin für Soziales, Jugend, Kultur und Sport, haben mühselig aufgebautes Vertrauen in die Verwaltung und Kommunalpolitik binnen kürzester Zeit verspielt. Während Burghart es für angemessen hält, den Haushaltsentwurf in Hinterzimmern aufzustellen, streicht Ruscheinsky vorsorglich in ihrem Dezernat kommunale Leistungen, die nachweislich zum Miteinander und zum Zusammenhalt beitragen.

Dass Haushaltsaufstellungsverfahren gesellschaftlichen Sprengstoff mit sich bringen können, ist uns klar. Nun ist die Bombe wegen der von der Stadt Chemnitz vorgesehenen Streichungen von Haushaltsmitteln im Kinder-, Jugend-, Familien- und Kulturbereich bereits explodiert und hat enormen Schaden angerichtet.

Renata Marwege, Co-Vorsitzende der SPD Chemnitz, erklärt: „Nicht nur steht für betroffene Einrichtungen, Träger*innen und Zuwendungsempfänger*innen die Weiterführung von Projekten – einschließlich der Beschäftigung langjähriger Mitarbeiter*innen – abrupt vor dem Aus. Nein, auch die vertrauensvolle Zusammenarbeit der Stadtverwaltung mit den gewählten Stadträt*innen ist mit Füßen getreten worden. Es ist ein Unding, die gewählten Vertreterinnen und Vertreter nicht angemessen einzubinden.“

Marwege weiter: „Die Kürzungen sind gerade in Zeiten einer spürbaren gesellschaftlichen Anspannung, in denen Familien von der Coronakrise in die Energiekrise taumeln, in denen die Kulturwirtschaft auch deswegen um Überlebensstrategien ringt, ein fatales Signal: Förderungen in den genannten Bereichen mögen zwar nicht zu den Pflichtaufgaben einer Kommune gehören, sind jedoch deswegen kein Luxus, der einfach dem Rotstift zum Opfer fallen darf.“

Sebastian Reichelt, Co-Vorsitzender der SPD Chemnitz, ergänzt: „Das Rot-Rot-Grüne Bündnis hat soziale Standards gesetzt, die Frau Ruscheinsky anscheinend für überflüssig hält. Aus dem Rathaus ist nicht zu hören, dass sie für ihre Träger*innen gekämpft hätte. Sie hielt es offenbar auch für überflüssig, mit ihnen zu sprechen. Der ganze Prozess ist unwürdig. Ein Kämmerer, der Stadtrat und Bevölkerung über die aktuelle Haushaltslage der Stadt im Unklaren lässt, und eine Bürgermeisterin, die sich nicht für ihre Partner*innen einsetzt, sind nicht zeitgemäß. Die stille, aber bewegliche Mitte nimmt sehr wohl Notiz von solch einem Gebaren. Politik und Verwaltung täten in diesen aufgewühlten Zeiten gut daran, den Zusammenhalt zu stärken. Frau Ruscheinsky ist das anscheinend egal. Sie lässt die Jugend, die Kulturakteur*innen und die Träger*innen im Regen stehen, verspielt Vertrauen und gefährdet unseren gesellschaftlichen Frieden.“

Wie fordern: Der Haushalt muss transparent aufgestellt werden. Die demokratisch legitimierten Mandatsträger*innen müssen verfahrenskonform beteiligt werden.

Wir werden Frau Ruscheinskys Streichungen nicht mittragen.

Fraktionserklärung der SPD-Fraktion von Jacqueline Drechsler, Fraktionsvorsitzende:

Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

sehr geehrte Bürgermeisterin Ruscheinsky, sehr geehrte Herren Bürgermeister,

sehr geehrte Stadträtinnen und Stadträte,

liebe Chemnitzerinnen und Chemnitzer,

ich weiß nicht, wann und auf welche Weise Sie letzte Woche davon erfahren haben, dass im Bereich des Jugendamtes, insbesondere der Jugendhilfe, schwere Einschnitte bevorstehen.

Mich erreichte am Donnerstagabend der erste Anruf eines betroffenen Trägers, der nur wenige Stunden zuvor eine E-Mail der Stadt Chemnitz erhalten hatte. Nicht nur die völlig unerwartete Nachricht, die Förderung einzustellen, sorgte für einen gewaltigen Schock, sondern auch die gewählte Ausdrucksweise.

Ich zitiere sinngemäß: „Maßnahmen zu veranlassen, das Angebot abzuwickeln“. Eine Rhetorik, die viele Chemnitzerinnen und Chemnitzer an bittere Zeiten der  Haushaltskonsolidierung erinnert.

Für jeden der betroffenen Träger wird es ein gewaltiger Tritt in die Magengrube gewesen sein. Einerseits, weil langjährige und wichtige Projekte aus verschiedenen Bereichen der Jugendhilfe betroffen sind, sei es die Familienbildung, außerschulische Jugendarbeit oder Vermittlung von Medienkompetenz, um nur drei exemplarische Beispiele zu nennen. Andererseits hängt bei vielen Trägern und Einrichtungen an dieser Entscheidung weitaus mehr, als nur das einzelne Projekt. Miet- und Betriebskosten sind oftmals ein Baustein, um ganze Einrichtungen am Laufen halten zu können.

Umso mehr ist es eine fatale Entscheidung, wenn wir uns vor Augen führen, was insbesondere in der Kinder- und Jugendarbeit während der Pandemie alles auf der Strecke geblieben ist und welche Folgen das hat.

Im April diesen Jahres wurde der Jugendhilfeausschuss zu einer Sondersitzung geladen, um diese Folgen auszuwerten und über Maßnahmen zu sprechen, wie diese aufgefangen werden müssen.

Die in der Fraktionserklärung zur Verfügung stehende Zeit reicht nicht annähernd, so dass mir nur die dringende Empfehlung bleibt die Niederschrift der Sitzung noch einmal nachzuschlagen.

Ein besonders frappierender Befund waren aber die gestiegenen Heimunterbringungen und dann lesen wir auf der Streichliste neben den Jugendhilfeangeboten der Paragraphen 11 – 16 auch die wenigen präventiven Stellschrauben, die uns als Kommune bleiben und auf die wir immer stolz waren, weil Chemnitz diese Ansätze auf den Weg gebracht hatte:

Kinder- und Familienzentren, Integrationsbegleiter:innen an Schulen, eine eigene Erzieher:innenklasse mit Ausbildungsvergütung.

Jetzt werden diese, zugegebenermaßen freiwilligen Angebote , mit einem Schlag eliminiert. Über die Beschlussvorlagen zu überplanmäßigen Mittelbereitstellungen in den Hilfen zur Erziehung vom kommenden Jahr will ich an dieser Stelle gar nicht nachdenken.

Es geht hier nicht um den Erhalt einer „Wohlfühl-Trägerlandschaft“, sondern um wirksame Prävention, damit Kinder und Jugendliche gestärkt werden.

Und nun möchte ich noch einmal zur Art und Weise kommen, mit der die Planierraupe am vergangenen Donnerstag auf die Reise geschickt wurde.

Und dabei spreche ich auch Sie, sehr geehrte Frau Bürgermeisterin Ruscheinsky an: Paragraf 7 der Satzung des Jugendamtes sieht vor, den Jugendhilfeausschuss bei amtsinternen Vorberatungen einzubeziehen, insbesondere beim Haushalt und bei der Ausrichtung der Jugendhilfe.

Sie werden sicher wissen, dass dem Jugendhilfeausschuss eine besondere Rolle zukommt, nicht nur wegen des wichtigen Themas, sondern schon wegen seiner expliziten Nennung im Sozialgesetzbuch VIII.

Aber die Mitglieder des Jugendhilfeausschusses hatten ja tatsächlich exklusiv und früher von den Streichungen erfahren, nämlich circa 2 Stunden vor dem Versenden der E-Mails an die freien Träger.

Auf die kurzfristige Einladung am 15. November folgend, informierte das Dezernat 5 am Nachmittag des 17. November die Mitglieder des Jugendhilfeausschusses über die kurz darauf versendeten Nachrichten an die betroffenen Träger.

Ist das die Einbeziehung in amtsinterne Vorberatungen?

Hat die Vorlage für den 06. Dezember etwa keine Haushaltsrelevanz?

Haben Sie im Vorfeld auch nur einmal mit Verbänden wie beispielsweise dem Netzwerk für Kultur- und Jugendarbeit oder der Liga der Wohlfahrtsverbände gesprochen?

Nein, dieses Vorgehen von letzter Woche erinnert an den sprichwörtlichen Elefant im Porzellanladen und leider nicht nur, was den unsensiblen Umgang, sondern auch, was die verheerenden Folgen anbelangt und ich hoffe, dass wir uns hier im Stadtrat einig sind, dass wir diese Ankündigung nicht unwidersprochen hinnehmen. Dennoch sind wir bereit  beim Aufkehren der Scherben zu helfen.

Ganz sicher werden die Stadträtinnen und Stadträte aber nicht allein diesen Scherbenhaufen beseitigen.

Hier sind die Stadtverwaltung und Sie, Frau Bürgermeisterin, in der Verantwortung.

Vielen Dank.

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